Philipp Ruch

WO SIND UNSERE WAFFEN?
Porträt Philipp Ruch
Foto: Esra Rotthoff

Philipp Ruch über das Verschwinden der kritischen Öffentlichkeit.

Stellt Corona das Theater in Frage?
Das glaube ich nicht. Covid-19 ist ein Mittel zur Erhöhung der Theatralik. Je mehr Bedingungen, desto mehr Kreativität. Aus dem Umgang mit Begrenzung entstehen faszinierende Dinge. Wenn die politische Setzung lautet: Menschen müssen eineinhalb Meter Abstand halten, sie dürfen sich nicht berühren und eigentlich ist Kultur vollkommen unmöglich, weil Freizeitvergnügen, dann sagt die Kostümbildnerin: Hier habe ich das Richtige dafür: eine gewaltige, raumgreifende Robe. Und so geht das durch alle Gewerke. Einschränkungen sorgen für Einfälle. Künstlerisches Schaffen beruht auf Einschränkungen, ohne Setzungen klappt es selten.

Verändert Corona Ihre Arbeit?
Komplett. Durch die Pandemie sind viele unserer Unterstützer*innen, die seit der Attacke des Innensenators auf die Leiterin des Gorki-Theaters im Winter 2014 Kompliz*innen heißen, in finanzielle Not geraten. Im März war ich auch einigermaßen erschrocken, von der fünften Gewalt, den Künstler*innen, Intellektuellen und Kulturschaffenden nichts zu hören. Thea Dorn und Juli Zeh vertraten fast allein die machtkritische Funktion der Intellektuellen. Ansonsten Schweigen und Schockstarre. Langsam rappelt sich wieder alles auf. Wir wollten ein Zeichen setzen, dass radikale Kunst auch unter pandemischen Bedingungen so möglich wie nötig ist. So kam die Aktion »Wo sind unsere Waffen?« in die Welt, in der der militärische Geheimdienst MAD die Bevölkerung um Mithilfe bittet, die Waffen der Bundeswehr wiederzufinden. Mittlerweile gab es erste Hausdurchsuchungen und wir haben Belohnungen für Hinweise ausgezahlt.

Aber Sie sind bei Ihrer Arbeit doch eher noch mehr als die herkömmlichen Theater angewiesen auf die Öffentlichkeit.
Sowohl das Theater als auch das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) sind angewiesen auf ein politisches Bewusstsein. Auch bei Wo sind unsere Waffen? schlägt mir mehr und mehr das Verschwinden der kritischen Öffentlichkeit auf den Magen, das sich im Sturzflug der gedruckten Zeitungen ausdrückt. Ich bezweifle, dass man durch TikTok mit einem politischen Bewusstsein sozialisiert wird. Noch dazu, wenn die App direkt aus einer Diktatur herstammt. Die gute alte Zeitung war ein gut eingestellter Wecker. Davon könnten wir mehr vertragen. In diesem Sinne agiert ja das Gorki seit Jahren.

Interview: Arno Widmann

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