Peter Hanslik

ES IST, EHRLICH GESAGT, KEINE PERFORMANCE
Porträt Peter Hanslick
Foto: Esra Rotthoff

Peter Hanslik sagt den Besucher*innen, wo es lang geht, kann Polnisch und empfiehlt Die Jakobsbücher von Olga Tokarczuk.

Jede*r Gorki-Besucher*in kennt Sie. Sie begrüßen uns und sagen uns sehr freundlich und sehr bestimmt, wann wir noch warten müssen, wann wir reindürfen.
Das ist die Aufgabe des Abenddienstes, dessen Leitung ich mir mit meiner Kollegin Anna Popova teile.

Jede*r kennt Sie. Niemand weiß, wer Sie sind. Das müssen Sie jetzt ändern.
Ich heiße Peter Hanslik, geboren 1977 in dem an Dresden angrenzenden Freital, aufgewachsen in Görlitz, verheiratet mit einer Oratoriensängerin, zwei Kinder, sieben und neun Jahre alt. Geht das so? Oder nehme ich besser die Maske ab?
 
Wir haben einen Sicherheitsabstand. Machen Sie es, wie Sie mögen. Wie kamen Sie zum Theater?
Ich habe in Berlin und Wrocław/Breslau Germanistik und Theaterwissenschaften studiert und machte hier am Gorki 2001 bei Janka Panskus ein Praktikum in der Theaterpädagogik. Nach dem Studium ging ich nach Zgorzelec/Görlitz und war dort sechs Jahre lang sehr gern Theaterpädagoge. Das Theater dort streckte die Fühler über die Grenze aus und wir versuchten, dort eine deutsch-polnische Theaterpädagogik aufzubauen. Ich hatte eine zweisprachige Theatergruppe und gab auch Workshops an polnischen Schulen. Dass Görlitz ein Musiktheater hat, vereinfachte die sprachenübergreifende Arbeit. Aber die Ressourcen waren knapp und knapper wie an allen diesen kleinen Stadttheatern, die mit wenig Geld immer wieder großartige Sachen machen. Denen gehört meine ganze Bewunderung. Auch jetzt immer mehr in Städten, in denen sie es massiv mit der AfD zu tun haben. Von Görlitz aus ging es dann nach Berlin an die Neuköllner Oper und an die Vagantenbühne. Hier am Gorki half ich bei der Organisation des Festivals Unart. Als Karin Schulz – an sie werden sich viele Gorki-Besucher*innen sicher noch mehr als an mich erinnern – Abschied nahm vom Abenddienst und in Rente ging, übernahm ich vor neun Jahren ihre Arbeit. Erst in Vollzeit, also beinahe jeden Abend. Obwohl die Arbeit mir große Freude macht, war das doch ziemlich familienunfreundlich. Da war es schön, dass ich mir die Stelle teilen konnte. Zuerst mit Jana Radünz und nun mit Anna Popova.

Was Sie da machen, habe ich immer als eine Performance wahrgenommen. Mich beeindruckt Ihre glückliche Verbindung von Höflichkeit und Autorität. Wenn ich autoritär werde, werde ich automatisch unhöflich.
Es ist, ehrlich gesagt, keine Performance. Wir haben das nicht geübt. Aber es freut mich natürlich, wenn es so rüberkommt.

Was machen Sie neben »Abenddienst« und Familie? Gehen Sie ins Theater?
Im Gorki habe ich natürlich jede Inszenierung gesehen. Aber seit meine Kinder auf der Welt sind, war ich in keinem anderen »Erwachsenentheater« mehr, dafür im Atze, Grips, etc... Außerdem versuche ich, mein Polnisch zu halten. So eine Fremdsprache muss ja trainiert werden. Ich schaue polnische Nachrichten – das ist im Augenblick ja sehr spannend –, verfolge zwei polnische Youtube-Kanäle. Ostmitteleuropa interessiert mich auch historisch. Tschechisch würde ich auch gerne lernen. Aber das wird wohl nichts mehr.

Ostmitteleuropa. In den 80er Jahren kamen eine Reihe von polnischen, ungarischen und tschechoslowakischen – so hieß das damals noch – Autor*innen und wuschen der linken Intelligenz im Westen und auch mir den Kopf. Alles östlich der DDR war für uns Osteuropa. Die Sowjetunion, erklärten sie uns, hat Mitteleuropa besetzt und abgeschafft, jetzt löscht ihr auch noch die Erinnerung daran aus, die unsere Zukunft sein könnte.
Von dieser Lektion hat meine Generation profitiert. Allerdings: Ich war zwölf, als die Mauer fiel. Europa hat sich gewaltig verändert. In diese neue Situation wuchs ich hinein. Ich habe nur wenige Erinnerungen an die Zeit davor. Im Studium hatte ich natürlich viel damit zu tun. So schnell lassen sich Vergangenheiten nicht abstreifen. Mit großem Interesse habe ich Die Jakobsbücher von Olga Tokarczuk gelesen. Das Buch spielt in Polen im 18. Jahrhundert. Polen hieß damals »das Land zwischen den Meeren«. Die Meere waren die Ostsee und das Schwarze Meer. Ich hätte gerne mehr Zeit für solche Ausflüge.
 
Sie schielen nicht nach einem anderen Job am Theater?
Inspizient*in finde ich auch toll. Zurzeit arbeite ich aber einige Stunden als Vertretungslehrer an einer Grundschule und habe mich auch an der Uni für Grundschulpädagogik eingeschrieben. Mein Magister in Germanistik und Theaterwissenschaften ist hübsch, aber interessiert niemanden. Neben meiner halben Stelle hier am Gorki einige Stunden an der Schule wäre für mich und meine Familie eine sehr glückliche Kombination.

Von der Pädagogik kommen Sie nicht los.
Ich komme aus einer Lehrer*innenfamilie.

Wollen Sie auch mit 60 noch »Abenddienst« machen?
Wenn es so weitergeht wie jetzt – gerne! Aber Intendanzen wechseln, Theater verändern sich. Mal zum Guten, mal zum Schlechten. Wenn das Gorki so weitermacht, bleibe ich gerne hier.

Interview: Arno Widmann

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