Can Dündars Theater Kolumne #50

CAN DÜNDAR’IN TİYATRO SÜTUNU
Credit: bianet.org

FRIEDEN, JETZT SOFORT! 

Foto: bianet.org

Köşe yazısının Türkçe orijinal metni için tıklayınız.


#50 PKK UND ÖCALAN: EINE 32-JÄHRIGE SUCHE NACH FRIEDEN


ERSTER AKT:
17. März 1993 – Bekaa-Tal

Unser Auto schlängelte sich zwischen den fruchtbaren Feldern des Libanon hindurch und nahm Kurs auf den Osten Beiruts. Als wir uns der Bekaa-Ebene näherten, ging die Sonne gerade über Mesopotamien unter. Nun befanden wir uns in einer strategischen Region, nahe der Grenze zwischen dem Libanon und Syrien. Wir erreichten bald das »Hauptquartier der Revolution«, das über viele Jahre Guerillakämpfer aus der Türkei und Palästina beherbergt hatte. Dort sollten wir Abdullah Öcalan treffen – den Gründer der kurdischen Widerstandsorganisation PKK.

Öcalan und ich hatten an derselben Universität studiert: Er Anfang der 1970er, ich gegen Ende desselben Jahrzehnts. In dem Jahr, in dem ich mein Studium begann, hatte er in Diyarbakır-Lice die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegründet und war nach Syrien geflohen. Von dort aus führte er die Organisation seit 15 Jahren. Nach dem Militärputsch von 1980, insbesondere nach den brutalen Folterungen im Gefängnis von Diyarbakır und den massiven Repressionen gegen die Kurden, wurde die PKK schlagartig populär. Im Sommer 1984 griff die PKK eine Polizeistation an – eine offene Kriegserklärung. Das türkische Militär reagierte mit aller Härte, doch das Gelände war für eine reguläre Armee ungeeignet und begünstigte den Guerillakampf. Beide Seiten erlitten hohe Verluste. Tausende Menschen starben, die Türkei versank in einem Blutbad. Öcalan wurde zur meistgesuchten Person des Staates.

Nach fast einem Jahrzehnt der Gewalt unternahm der damalige Präsident Turgut Özal erste Reformschritte, da er erkannte, dass das Problem nicht durch Gewalt gelöst werden konnte. Im März 1993 reagierte die PKK mit einem kurzfristigen Waffenstillstandsangebot. Genau in dieser Zeit fuhren wir in die Bekaa-Ebene. Ich wollte ein Interview mit Öcalan für das TV-Programm 32. Gün (»Der 32. Tag«), dessen Chefredakteur ich war, führen. Die Nacht verbrachten wir in einem einstöckigen Haus, wo wir mit Guerillakämpfern sprachen. Am nächsten Tag traf Öcalan ein. Er hatte seine militärische Uniform abgelegt und trug stattdessen Anzug und Krawatte. So hatten wir ihn noch nie gesehen. In dem Interview, das auch von der PKK aufgezeichnet wurde, erklärte er, dass Frieden möglich sei, wenn die Rechte des kurdischen Volkes anerkannt würden. Das war eine Botschaft, die die Geschichte der Türkei hätte verändern können. In unserer Delegation befand sich damals auch der Berater von Özal, Cengiz Çandar, der Öcalans Botschaft nach Ankara tragen sollte. Das politische Klima entspannte sich, ein Dialog begann, Hoffnung auf Frieden keimte auf. Am Ende des Interviews fragte ich Öcalan: »Können Sie sich vorstellen, eines Tages in die Türkei zurückzukehren und Politik im Parlament zu machen?« Er antwortete: »Nicht meine Rückkehr ist wichtig, sondern die Transformation der Türkei.«

Das Interview löste heftige Reaktionen aus – sowohl positive als auch negative. Doch zum ersten Mal schien eine Veränderung möglich, Frieden war in Sicht. Am 16. April verlängerte Öcalan den Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit. Nun war Ankara am Zug. Özal plante eine Amnestie für die PKK-Kämpfer und wollte sie am nächsten Tag, dem 17. April, verkünden. Öcalan saß aufgeregt vor dem Fernseher in seinem Haus in Syrien, um die Rede Özals zu verfolgen. Doch dann kam es ganz anders: Eine Eilmeldung verkündete, dass Präsident Özal einen Herzinfarkt erlitten und gestorben sei. Öcalan drehte sich zu den Anwesenden um und sagte: »Sie haben ihn umgebracht.« Gleich danach nahm der Krieg zwischen dem türkischen Militär und der PKK eine blutigere Wendung als je zuvor.

Ende Erster Akt.

***

 
ZWEITER AKT:
15. Februar 1999 – Ankara – İmralı

Ich arbeitete im Ankara-Büro des TV-Senders ATV. Gegen Mittag hieß es, dass Premierminister Ecevit eine äußerst wichtige Pressekonferenz abhalten werde. Sofort eilte ich zu seinem Amtssitz. Ecevit begann seine Rede mit den Worten: »Ich habe eine Nachricht für Sie und unsere geschätzten Bürger. Seit heute Morgen um 03:00 Uhr befindet sich Abdullah Öcalan, der Anführer der terroristischen PKK, in der Türkei.«

Wir konnten es kaum glauben. Er war gefasst worden. Später erfuhren wir durch Recherchen des Journalisten Mehmet Ali Birand bei 32. Gün, dass er nicht wirklich von der Türkei gefasst, sondern unter der Bedingung, nicht hingerichtet zu werden, von der CIA an Ankara übergeben worden war. In meinem Kommentar für den Sender sagte ich, dass Öcalans Festnahme das Kurdenproblem nicht gelöst, sondern in eine neue Phase geführt habe – möglicherweise in eine noch schlimmere. Doch die Siegesstimmung war so überwältigend, dass der Sender meinen Kommentar nicht ausstrahlte.

Am 31. Mai 1999 begann der Prozess gegen Öcalan. Auf der Insel İmralı, auf der Öcalan inhaftiert war, wurde eigens ein Gerichtssaal errichtet. Ich fuhr von der kleinen Küstenstadt Mudanya mit einem Boot zu der Insel und verfolgte den Prozess. Der Saal war gefüllt mit Angehörigen von Soldaten und Polizisten, die von der PKK getötet worden waren. Sie hatten sich in türkische Fahnen gehüllt und erwarteten Öcalans Todesurteil – ohne zu wissen, dass längst ein Deal ausgehandelt war. Öcalan wurde in einen kugelsicheren Glaskasten geführt und vermied es, Blickkontakt mit den Familien der Gefallenen zu haben. Ich sah ihn nach sechs Jahren erst zum zweiten Mal in zivil. Er wiederholte seine Aussagen aus dem Interview und sprach sich für eine friedliche Lösung aus. Dennoch wurde er im Oktober 1999 zum Tode verurteilt, verantwortlich für den Tod von 30.000 Menschen. Nun war es an der Zeit, dass die Regierung Wort hielt:

Die ultranationalistische MHP, die jahrelang für seine Hinrichtung gekämpft hatte, war nun Koalitionspartner und musste sich dem CIA-Deal beugen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft und Öcalans Urteil wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Seine Isolationshaft sollte ein Vierteljahrhundert dauern. Aber bald wurde klar: Das Kurdenproblem war nicht gelöst, sondern hatte, wie ich schon vermutet hatte, eine neue Phase erreicht.

Ende Zweiter Akt.
 

***
 

DRITTER AKT:
23. Februar 2013 – İmralı

Als die Details von Öcalans Gefangennahme bekannt wurden, beschloss ich, einen Dokumentarfilm über sein Leben zu drehen. Eine Veröffentlichung in der Türkei war unwahrscheinlich, aber zumindest wollte ich das Material archivieren. Gleichzeitig führte die Erdoğan-Regierung geheime Gespräche mit Öcalan, um die PKK dazu zu bewegen, die Waffen niederzulegen. Kurdische Abgeordnete führten die Verhandlungen zwischen Regierung und Öcalan. Über sie ließ ich Öcalan eine Nachricht zukommen, in der ich ihn bat, meine schriftlichen Fragen zu beantworten. Am 23. Februar 2013 wurde mein Brief an ihn weitergeleitet. Öcalan antwortete: »Vielleicht, aber er soll noch etwas warten.«

Bald darauf erhielt ich einen Anruf vom Chefredakteur der Zeitung Milliyet, bei der ich zu dieser Zeit arbeitete: Sie hatten geleakte Protokolle der geheimen İmralı-Gespräche in die Hände bekommen und wollten diese als Aufmacher veröffentlichen. Doch da mein Name darin auftauchte, zögerten sie. Ich erklärte, dass ich diese interessante Lebensgeschichte einzig für eine Dokumentation recherchierte. Der mich betreffende Abschnitt wurde nicht veröffentlicht, aber wenige Monate später wurde ich entlassen. Doch die veröffentlichten Protokolle erschütterten die Regierung. Dass der Geheimdienstchef des Staates Verhandlungen mit dem Anführer einer als »Terrororganisation« eingestuften Organisation geführt hatte, entfachte besonders die Wut der nationalistischen Kräfte in der Opposition. Die Wahlen rückten näher. Erdoğan ging das Risiko nicht weiter ein und beendete die Gespräche Anfang 2015. Der Waffenstillstand wurde aufgehoben, und eine noch blutigere Phase begann.

Ende Dritter Akt.
 

***
 

VIERTER und LETZTER AKT:
Oktober 2024 – Ankara
 
Am 1. Oktober 2024 machte der Anführer der Grauen Wölfe, Devlet Bahçeli, bei der Eröffnung des Parlaments eine völlig unerwartete Geste: Er ging auf die Reihen der kurdischen Abgeordneten zu, die er bis dahin als Feinde betrachtet hatte, und schüttelte ihre Hände. Eine Szene, die man sich auch in den kühnsten Träumen niemals hätte vorstellen können. Doch es kam noch unglaublicher: In seiner Rede vom 22. Oktober sagte Bahçeli: »Die Isolation Öcalans soll aufgehoben werden, er soll ins Parlament kommen und erklären, dass er seine Organisation auflöst.« Wir waren geschockt. Offensichtlich hatten die sich nach dem Krieg in Gaza veränderten Machtverhältnisse im Nahen Osten – insbesondere der Machtwechsel in Damaskus – Ankara zu einer neuen Taktik gezwungen. Frieden sollte mit den Kurden geschlossen, der Einfluss der USA und Israels auf sie gebrochen und für sich gewonnen werden, um somit die Position Ankaras in der neuen politischen Ordnung Syriens zu stärken. Um den erwartbaren Widerständen innerhalb der nationalistischen Wählerschaft zu begegnen, musste also zunächst die MHP – die Partei, die bislang die aggressivste Politik gegen die PKK verfolgte – überzeugt und schließlich mit der Führung des Prozesses betraut werden. Devlet Bahçeli, dessen Vorname »Staat« bedeutet, übernahm diese Aufgabe und führte die Kampagne an. Erneut machten sich Delegationen auf den Weg nach İmralı. Die 25 Jahre andauernde Isolation Öcalans wurde aufgehoben, die Verhandlungen begannen von Neuem und Öcalan rief Ende Februar die PKK dazu auf, die Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Eine Woche später kam von der im Nordirak stationierten Organisation eine positive Antwort und kurz darauf wurde bekannt, dass die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Rojava eine Einigung mit der neuen Regierung in Damaskus erzielt hatten.

Kann eine Macht, die in der Tasche die eiserne Faust der Autokratie hält, in der anderen Hand einen Olivenzweig tragen? Kann ein Frieden ohne die Demokratie überhaupt verhandelt werden? Während wir nach Antworten auf diese Fragen beschäftigt waren, kamen nacheinander zwei unerwartete Meldungen: Zuerst unterzog sich Devlet Bahçeli, der den Prozess ursprünglich ins Rollen brachte, einer Herzklappenoperation und verschwand für längere Zeit aus der Öffentlichkeit. Danach wurde Sırrı Süreyya Önder, der den Prozess auf kurdischer Seite leitete, aufgrund eines Aortenrisses auf die Intensivstation eingeliefert.

Wenn man sich daran erinnert, dass die ersten Friedensverhandlungen mit dem plötzlichen und tödlichen Herzinfarkt von Özal gescheitert sind, könnte man sagen, dass die Friedensbemühungen eine schwere Last für die Herzen darstellen. Dennoch sollten wir von Herzen die Initiativen für Frieden unterstützen, die diesen seit 45 Jahren andauernden Krieg, der 45.000 Menschenleben gekostet hat, beenden könnten – auch wenn unsere Herzen rasen, während wir auf das Ergebnis warten.


Übersetzung aus dem Türkischen von Çiğdem Özdemir