CAN DÜNDARS THEATER KOLUMNE #47

CAN DÜNDAR’IN TİYATRO SÜTUNU
Semiha Berksoy

© Courtesy of the Estate of Semiha Berksoy and GALERIST

Köşe yazısının Türkçe orijinal metni için tıklayınız.


#47 SINGEN IN ALLEN FARBEN

Wussten Sie, dass die erste türkische Opernsängerin, die in Westeuropa auftrat, ihr Bühnendebüt an der Hochschule für Musik in Berlin hatte? Und das ausgerechnet im Jahr des Kriegsausbruchs: 1939.

Sie sang die Hauptrolle der Ariadne in einer öffentlichen Aufführung in Richard Strauss’ Werk Ariadne auf Naxos.

Die Geschichte von Semiha Berksoys Ankunft in Berlin durfte ich noch von ihr selbst hören. Es ist eine großartige Geschichte. Lassen Sie uns fünf Jahre vor dem Auftritt beginnen.

***

Es war 1934, als die Republik Türkei, damals erst zehn Jahre alt, sich darauf vorbereitete, den Schah von Persien, Reza Pahlavi, zu empfangen. Staatspräsident Atatürk wollte sowohl die türkisch-persische Freundschaft feiern als auch seinem Gast aus dem »Orient« zeigen, dass die Türkei auf dem Weg der westlichen Modernisierung war. Dabei kam ihm die Oper in den Sinn. Eine Oper, wie er sie in Sofia mit Begeisterung gesehen und sich gewünscht hatte, auch in der Türkei ein solch hohes Niveau zu erreichen. Also befahl er die Produktion einer Oper, die die erste Oper der Türkei werden sollte. Atatürk legte das Thema selbst fest und wollte, dass die Oper auf der Legende von Feridoun aus dem Werk Schahnameh des persischen Dichters Ferdousi basieren sollte.

Doch gab es weder ein Libretto, noch ein Ensemble oder Orchester und schon gar kein geeignetes Gebäude. Und bis zum Besuch war nur ein Monat Zeit. Wie die Oper Özsoy in diesem einen Monat entstand, wurde zum Thema des Historiendramas Bir Cumhuriyet Şarkısı (Ein Lied für die Republik), das kürzlich in den Kinos lief.

Eine der Personen, die im Rahmen der für die Oper ausgerufenen Mobilmachung um Mithilfe gebeten wurde, war Semiha Berksoy. Sie war erst 23 Jahre alt und vielseitig begabt: Bildhauerei, Keramik, Malerei, Theater, Musik. Sie hatte Gesangsunterricht am Konservatorium von Istanbul bekommen, war die erste Frau, die die Theaterschule absolvierte und hatte ihr Bühnendebüt in Tolstois Der lebende Leichnam. 1931 reiste sie nach Paris, um im ersten türkischen Tonfilm mitzuspielen, dessen Drehbuch der berühmte türkische Dichter Nâzım Hikmet geschrieben hatte und den sie sehr verehrte. In Istanbul sang sie Operette. Als sie das Angebot für die Oper erhielt, eilte sie sofort nach Ankara, um mit den Proben zu beginnen.

***

Im Frühjahr 1934 besuchte Atatürk die Proben, war beeindruckt und lud die Darsteller*innen abends in seinen Palast. Semiha Berksoy erzählte mir, was sie erlebte, als sie die Einladung in ihrem Hotelzimmer erhielt:

»Ich war erst 23, unerfahren und sehr hübsch. Als ich die Bediensteten des Palastes an der Tür sah, hatte ich Angst. ›Wäre es in Ordnung, wenn ich nicht käme?‹ fragte ich. Doch es hieß, wir seien namentlich eingeladen worden – eine Absage sei nicht möglich. Ich zog schnell ein graues Kleid an, das ich von meiner Tante geliehen hatte, und band mir einen leuchtend roten Gürtel um die Taille. Mit einem Auto fuhren wir mitten in der Nacht zum Çankaya-Palast. Als wir eintraten, spielte Atatürk gerade Billard. Er hatte einen Tisch vorbereiten lassen und hieß uns willkommen. Als man mich fragte, ob ich etwas trinken wolle, antwortete ich: ›Ich trinke nicht.‹ Daraufhin fragte mich Atatürk: ›Würden Sie uns dann etwas vorsingen?‹ ›Wenn Sie möchten, kann ich eine Arie aus Madame Butterfly auf Italienisch singen‹, sagte ich. Er freute sich sehr. Ein Aufnahmegerät wurde gebracht, und ich stellte mich neben das Klavier. Atatürk stand neben mir, die Hände verschränkt. Ich begann, die Arie zu singen ... Ich gab alles, damit er es mochte, und meine Stimme füllte den Raum. Als ich fertig war, rief Atatürk: ›Okay ... okay ...‹ Wie sich herausstellte, war ›Okay‹ ein neues türkisches Wort. Es bedeutete ›Volltreffer‹ – eine perfekte Leistung also. Danach gingen wir zum Buffet und Atatürk sagte zu mir: ›Ihre Stimme ist wunderschön, Sie sollten nach Europa gehen.‹«
 

Semiha Berksoy

© Courtesy der Nachlass Semiha Berksoy & GALERIST, Istanbul / Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jacopo LaForgia


So begann Semiha Berksoys Abenteuer Deutschland. Sie erhielt ein Stipendium für die Hochschule für Musik und ging nach Berlin. Zwischen 1936 und 1939 studierte sie dort und gab Konzerte in der Türkei, den USA, den italienischen Botschaften und im Berliner Rundfunk.

Bald darauf folgte die Hauptrolle in Ariadne auf Naxos. Das Stück wurde im Rahmen der Feierlichkeiten zu Richard Strauss’ 75. Geburtstag in Berlin aufgeführt und Semiha Berksoy wurde als »willensstarke, kraftvolle Sopranistin« gefeiert.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste sie jedoch in die Türkei zurückkehren. Zu dieser Zeit unterstützte der berühmte deutsche Theater- und Opernregisseur Carl Ebert die Gründung des Konservatoriums und der Staatsoper in Ankara. Berksoy arbeitete eine Zeit lang mit Ebert.

Während sie ihre Karriere in der Türkei vorantrieb, hielt sie Kontakt mit Berlin.

***

1969 hatte Semiha Berksoy dann eine Einzelausstellung im Haus am Lützowplatz und heute, 56 Jahre später, ist sie erneut in Berlin.

Innerhalb von 75 Jahren hat sie eine künstlerische Karriere geschaffen, die so reich und vielseitig ist, dass sie hier kaum vollständig beschrieben werden kann. Sie erlangte sowohl in der Malerei als auch in der Oper Berühmtheit. Ihr letzter großer Auftritt fand 1999 im Lincoln Center in New York statt, wo sie in Robert Wilsons Oper The Days Before: Death, Destruction and Detroit III Wagners Arie Liebestod vortrug. Als sie das letzte Mal auf der Bühne stand, war sie 89 Jahre alt. Sie verstarb 2004 im Alter von 94 Jahren in Istanbul.

Der Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart beherbergt derzeit die erste umfassende Retrospektive von Berksoy in Deutschland. Kuratiert von den Museumsdirektoren Sam Bardaouil und Till Fellrath, präsentiert die Retrospektive eine ganzheitliche Perspektive auf ihre bahnbrechende Karriere in der Welt der bildenden und darstellenden Künste seit den 1930er Jahren.

Die Ausstellung umfasst fast 100 ihrer Werke, Archivdokumente, Filmausschnitte und Tonaufnahmen. Die Retrospektive vermittelt die Verbindung von Oper und bildender Kunst in Berksoys Werk. Die Ausstellung ist eine lange Reise durch eine außergewöhnliche Karriere, die von den 1930er Jahren bis heute reicht. Vor jedem ihrer Gemälde hörte ich ihr »Singen in allen Farben«. Ich war stolz darauf, sie getroffen und von der Geburt der ersten türkischen Oper von ihr gehört zu haben.

Leise flüsterte ich: »Okay, Semiha Berksoy ... Okay.«


Übersetzung aus dem Türkischen von Çiğdem Özdemir


Credits: 

© Courtesy of the Estate of Semiha Berksoy and GALERIST

© Courtesy der Nachlass Semiha Berksoy & GALERIST, Istanbul / Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jacopo LaForgia