CAN DÜNDARS THEATER KOLUMNE #22

CAN DÜNDAR’IN TİYATRO SÜTUNU

 

Zehra Doğan, Nusaybin, 2016
Zehra Doğan, Nusaybin, 2016

 

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Mit Blut gemalte Bilder

Zehra Doğan ist eines von neun Kindern einer kurdischen Familie. Zuhause wuchs sie mit der kurdischen Sprache auf, ihre Schulausbildung fand auf Türkisch statt. Im Hin und Her zwischen diesen beiden Sprachen hat sie eine andere Sprache für sich gefunden: die Sprache der Bilder.
Während Gleichaltrige mit Puppen spielten, hat sie auf Hauswände gemalt. So reiften ihre Pinselstriche und ermöglichten es ihr, die Eignungsprüfung für die Universität zu bestehen. Neben ihrem Kunststudium arbeitete sie bald auch als Journalistin bei der Nachrichtenagentur Jinha, die als »erste Frauennachrichtenagentur der Welt« gilt und die sie mitbegründet hat. Mit Nachrichten und Bildern berichtete sie aus den unterdrückten kurdischen Städten. 
Das Schicksal Zehras und das jenes Gebietes, in dem sie lebte, nahm im Jahr 2015 eine Wendung. Während der Kämpfe, die im Sommer jenen Jahres begonnen hatten und bis März 2016 andauerten, starben 3.500 Mitglieder verschiedener kurdischer Organisationen, 355 Sicherheitskräfte und fast 300 Zivilist*innen. Auch in Zehras Stadt Nusaybin gab es gewaltsame Kämpfe und Ausgangssperren. Fünf Monate lang konnte sie das Haus nicht verlassen. Zehra musste durch das Fenster zusehen, wie ihre Stadt dem Erdboden gleich gemacht wurde. Und als die Operation beendet war, veröffentlichten die Sicherheitskräfte ein »Siegesfoto«, das Zehra zu einem Bild inspirierte, das ihr Leben verändern sollte.
Sie hatte weder Farben noch Pinsel. Mit dem Eingabestift ihres Smartphones malte sie die gepanzerten Fahrzeuge, die »Skorpion« genannt werden, als echte Skorpione, die Polizisten ausspuckten. Dieses Bild verbreitete sich schnell in den Sozialen Medien in der Türkei. Zehra wurde daraufhin zur Zielscheibe und im Juli 2016 auf dem Weg aus Nusaybin heraus wurde sie verhaftet. Während ihrer Untersuchungshaft erduldete sie sexualisierte Folter durch Polizisten, bis der Staatsanwalt sie am Ende der Untersuchungshaft fragte, warum sie dieses Bild gemalt habe. Ihre Antwort war kurz: »Das war nicht ich, das wart ihr.«

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Wegen des Bildes, das sie gemalt hatte, wurde Zehra unter dem Vorwurf »Anstiftung des Volkes zu Aufruhr« und »Propaganda für eine Terrororganisation« zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Sie war erst 27 Jahre alt.  
Man sperrte sie in eine Großraumzelle mit 52 Insassinnen. In der Welt der verwundeten Gefangenen, der Frauen, die mit ihren Kindern auf dem Schoß eingesperrt worden waren und der armen Frauen, die zusammengekauert vor den Toiletten schliefen, richtete sie sich ihr Atelier ein und malte diese Welt. Es war kein echtes Atelier, sie hatte weder Leinwand noch Pinsel oder Papier. Nicht nur die Umgebung war ungeeignet für ihre Arbeit, es war ihr auch nicht gestattet, Bilder zu malen. Sie musste lernen, aus dem Nichts Bilder zu erschaffen und diese nach draußen zu schmuggeln.
Sie fing zuerst an, die Natur zu erforschen, um Farbe herzustellen: Wenn man Rucola zerstampfte oder Granatapfelschalen in Wasser kochte, erhielt man grüne Farbe. Gekochte Hagebutte ergab Fuchsia, das Wasser von mit Salz gepressten Salatblättern Violett. Schwarz war aus zerdrückten Oliven gemischt mit Zigarettenasche, Gelb aus Kurkuma, Rot aus Tomaten zu gewinnen. Später fügte sie Essensreste, verfaultes Gemüse, Gewürze, Medikamente und sogar ihr Menstruationsblut hinzu. 
Schließlich holte sie sich Hilfe von Draußen. Es war verboten, ihr Farbe zu schicken; sie legte gemalte Postkarten, die ihr eine Freundin aus Frankreich schickte, in Wasser ein und siebte das gefärbte Wasser ab. Ihre Pinsel stellte sie aus Taubenfedern her, die in den Gefängnishof fielen, oder aus ihren eigenen Haaren, die sie an einen Bleistift klebte. Bei ihren wöchentlichen Besuchen brachte ihre Mutter weiße Kleider mit, die Zehra als Leinwand benutzte und mit der Schmutzwäsche wieder nach draußen schickte. Ihre Wärter*innen, die ihr das Malen verbieten wollten, trugen so ihre verbotenen Bilder aus der Zelle.
Wurde sie dabei erwischt, malte sie auf Zeitungen und brachte diese wie Abfall nach draußen. Wenn ihr auch das verboten wurde, bat sie ihre Freund*innen, einseitige Briefe zu schreiben, deren Rückseiten sie dann nutzte, oder sie malte auf Zigarettenpapier. Irgendwann, als sie weder etwas zu bemalen noch einen Weg fand, ihre Bilder nach draußen zu schaffen, malte sie auf die Rücken der Frauen, die entlassen wurden. Sie schickte auf Haut gemalte, lebendige Gemälde auf den Weg. Diese wurden abfotografiert und auf der ganzen Welt bekannt.
Eines Tages erzählte ihre Schwester während eines Besuchs, dass ein englischer Künstler immerzu nach ihr fragen würde, er hieße Banksy oder so. Zehra verstand sofort: der »Guerilla-Künstler« suchte sie. Sie schickten sich Nachrichten über ihre Anwält*innen. Einige Zeit später sah Zehra ihr Bildnis in einer Zeitung. Man hatte ein Bild von ihr hinter Gittern auf eine Mauer in Manhatten gemalt. Unter dem Graffito stand »Freiheit für Zehra Doğan« und darüber sah man jenes Bild als Plakat,  das sie ins Gefängnis gebracht hatte. Während sie im Gefängnis einer Kleinstadt einsaß, war ihr Werk auf einer New Yorker Mauer zu sehen gewesen. In ihrer Zelle feierten sie zunächst diese Nachricht und später all die internationalen Preise, die sie erhielt.

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Als sie nach mehr als zweieinhalb Jahren entlassen wurde, war sie eine bekannte Künstlerin. Ihre erste Ausstellung eröffnete sie in der Tate Modern in London. Dort stellte sie Objekte aus, die in den Trümmern ihrer zerstörten Stadt übriggeblieben waren. Danach reiste sie mit ihren Ausstellungen von Mailand nach New York, von Washington nach Frankfurt. 
Jetzt ist Berlin dran. Die Hauptstadt wird durch ihre Ausstellung prison no. 5 im Gorki Zehras Farben, die nicht zu verblassen sind, und ihre Pinsel, die man nicht brechen kann, kennenlernen. Das museum of small things verbeugt sich vor ihrer Kreativität, die nicht in eine Zelle zu sperren ist.

Zehra ist eine von Zehntausenden, die in der Türkei bestraft werden, weil sie von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen, weil sie sich den Repressionen nicht beugen. Weit weg von ihrer Familie ist Zehra nun Teil der großen Exil-Künstler*innen-Familie. Und sie beweist jenen in der Türkei, die ihre Kunst verbieten wollen, genauso wie den repressiven Regierungen auch jenseits der Türkei, dass freie Kunst und ein kreativer Geist nicht in ein Gefängnis gesperrt werden können.