Statement des Maxim Gorki Theaters zu Ermittlungen gegen das Zentrum für Politische Schönheit wegen des Verdachts auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“


Mit Fassungslosigkeit mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die thüringischen Ermittlungsbehörden seit Ende November 2017 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Gera gegen das »Zentrum für Politische Schönheit« (ZPS) nach §129 StGB ermitteln, d.h. mit dem gravierenden Verdacht auf »Bildung einer kriminellen Vereinigung«! Das hat inzwischen sogar die Staatsanwaltschaft am 02.04.2019 bestätigt, gleichzeitig hat sie den Antrag der Anwältin des ZPS auf Akteneinsicht mit der lapidaren Begründung »eines laufenden Ermittlungsverfahrens« abgelehnt, was ein fatales Signal für einen funktionierenden Rechtsstaat darstellt.

Zuvor hatte eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag ergeben, dass – neben einer Reihe von politisch motivierten Gefährdern mit Kontakt zum Islamischen Staat, der Al-Nusra-Front und Al-Shabaab, sowie in einer Reihe mit den Frieden der Gesellschaft gefährdenden Hooligans mit Kontakt zur rechtsextremistischen Szene – gegen eine Gruppe von »Aktionskünstlern« ermittelt wird.

Das besonders Brisante ist, dass Ermittlungen nach §129 tiefgreifende und umfassende Befugnisse für die Ermittlungsbehörden einräumen, wie man das ansonsten nur bei der Bekämpfung von Gruppierungen der Organisierten Kriminalität kennt – seien es Mafiastrukturen oder netzwerkartige Zusammenschlüsse aus dem terroristischen Umfeld oder der Bandenkriminalität bzw. der Rockermileus. Rechtsfolge ist die weitgehende Einschränkung von elementaren Grundrechten wie v.a. das Brief- bzw. Telekommunikationsgeheimnis und Recht auf informationelle Selbstbestimmung, d.h Telefonüberwachung und Verkehrsdaten-Erhebung, Online-Durchsuchung mit sogenannten Staatstrojanern oder eben die akustische Überwachung innerhalb und außerhalb von Wohnräumen (»Kleiner und Großer Lauschangriff«). Ermittlungen nach §129 werden erst dann geführt, wenn davon auszugehen ist, dass von der Gruppe eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Den Unterlagen nach zu urteilen, wurde das Ermittlungsverfahren eine Woche nach Veröffentlichung der Aktion »Deine Steele«, dem Bau einer Kopie des Holocaust-Mahnmals gegenüber des Wohnhauses von MdL Björn Höcke, eingeleitet. Vieles spricht also dafür, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Aktion stehen. Damals erklärte der Präsident des Thüringer Landtags, Christian Carius, in öffentlicher Sitzung: »… ich habe daher den Innenminister gebeten, in einem Telefonat, dringend dafür zu sorgen, dass (…) erforderliche Ermittlungen eingeleitet werden.«

Nun hat sich herausgestellt, dass diese „erforderlichen Ermittlungen“ auf Basis von §129 geführt werden. Das ist nicht bloß skandalös, sondern ein fatales Signal für eine funktionierende Zivilgesellschaft, für einen Rechtsstaat erst Recht! Nach diesem kürzlich erst reformierten Straftatbestand wird »mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die (…) mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.« Die Rechtsprechung definiert eine solche »Vereinigung« als einen auf Dauer angelegten Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame kriminelle Ziele verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen. 
Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft ist also der Auffassung, dass es sich beim ZPS um eine solche höchst gemeinschädliche Vereinigung für die Allgemeinheit handelt, wenn sie ihren künstlerischen Aktivitäten nachgeht, die offensichtlich einigen in der Politik, aber eben auch in der Verwaltung nicht passen! Welche besonders schwere Straftat soll hier vorgelegen haben?

Das Erschreckende ist, dass das Ermittlungsverfahren auch nicht eingestellt wurde, nachdem das Landgericht Köln in seinem Urteil vom Februar 2018 die Aktion des ZPS eindeutig und klar als »Kunstwerk« betrachtet hat und es vollumfänglich als von den Grundrechten der Kunstfreiheit und der Meinungsfreiheit gedeckt bewertete. Trotz dieser gerichtlich feststehenden und unangreifbaren Beurteilung ermittelt die Staatsanwaltschaft weiterhin gegen eine als Kunstwerk klassifizierte Aktion.

Uns erscheint es sinnvoller zu sein, wenn die Strafverfolgungsorgane ihren Dienst noch stärker in das Ermitteln, Aufdecken und Bekämpfen des weitverzweigten, die freiheitlich-demokratische Grundordnung akut bedrohenden Netzwerks gewaltbereiter Rechtsextremist*innen investieren! Gerade vor dem Hintergrund, dass Thüringen das Bundesland ist, in dem die – vorsichtig formuliert – nachlässige Ermittlungsarbeit dem rechtsextremistischen Terrorismus in Gestalt des sogenannten »NSU«, einer »kriminellen Vereinigung«, samt seines mörderischen und bis heute nicht vollständig aufgedeckten Netzwerks »ermöglichte«, seine verbrecherischen Taten lange Zeit unaufgedeckt vollziehen zu können, muss doch das Engagement zur Erforschung der Arbeitsweise von Aktionskünstlern geradezu erstaunen!

In einem in der Rechtsgeschichte im Zusammenhang mit künstlerischen Tätigkeiten einzigartigen Fall (abgesehen von den Ermittlungen gegen die rechtsextremistische Popgruppe »Landser«) wird nun also gegen das ZPS als »kriminelle Vereinigung« ermittelt. Das bedeutet, es wird davon ausgegangen, dass die Gruppe gegründet wurde, um gezielt dauerhaft Straftaten von erheblicher Bedeutung zu begehen. Wir kennen das ZPS aus intensiver Zusammenarbeit sehr gut. Ihre Ziele sind eindeutig: sie wollen Diskussionen anschieben mit den Mitteln der Kunst, sie wollen provozieren und alarmieren.

Die Kriminalisierung, die hier vorgenommen wird, ist durch nichts zu rechtfertigen. Mehr noch: wir sehen hierin eine Fehleinschätzung von Behörden. Das ist eine Fehleinschätzung mit gravierender Bedeutung! Es ist richtig, dass die Rechte von Abgeordneten jedweder Coleur zum Schutze der Demokratie gewährleistet sein müssen. Es ist aber ebenso wichtig für eine wehrhafte Demokratie, dass die Grundrechte der Kunst- und Meinungsfreiheit zu den höchsten Gütern gehören! Insoweit gilt hier stets eine Rechtsgüterabwägung, die bereits von einem deutschen Gericht rechtskräftig zu Gunsten der Kunst entschieden bzw. getroffen wurde! Die Staatsanwaltschaft muss die Autorität der Gerichte beachten!

Die empfindliche Einschränkung von Grundrechten wie sie im vorliegenden Fall anzunehmen ist, alarmiert uns zutiefst. Vergleichbare Praxen kennen wir bisher nur aus autoritär geführten Staaten wie der Türkei oder Russland, wo die Kriminalisierung einer kritischen, künstlerischen Öffentlichkeit zur politischen Praxis der Herrschaftssicherung gehört.

Wir fordern den Landesjustizminister Dieter Lauinger dazu auf, seiner Pflicht zur Kontrolle der Behörden nachzukommen und diesen einmaligen Vorgang im Sinne der Bürgerrechte aufzuklären! Wir fordern die Staatsanwaltschaft Gera auf, die Ermittlungen sofort einzustellen und die in dieser Angelegenheit gesammelten Daten zunächst den Betroffenen offenzulegen und anschließend zu löschen, um dieser weiteren peinlichen (Politik-)Posse ein Ende zu setzen.

Kunst muss verstören und aufrütteln. Deshalb wenden wir uns in aller Schärfe gegen eine das Gemeinwesen und die Grundordnung gefährdende Tendenz zur Kriminalisierung von Kunst und Künstler*innen!

Maxim Gorki Theater