CAN DÜNDARS THEATER KOLUMNE #40

CAN DÜNDAR’IN TİYATRO SÜTUNU
Zeichnung: Serkan Altuniğne

Zeichnung: Serkan Altuniğne

– Ich habe meinen Tweet an Erdoğan jetzt geschickt. Jetzt kann’s losgehen mit dem Exil und den neuen Werken …
– Also, erstens bist du weder Brecht noch Can Dündar… Du kannst so viel vertrieben werden, wie nur möglich, von dir wird kein wichtiges Werk kommen. Und zweitens wird man wegen eines Tweets nicht vertrieben, die sperren dich direkt ein. Nur, dass du’s weißt …
– Echt?


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Brecht, das Exil und die Kreativität

Letzten Monat war ich eingeladen zum Brecht-Festival in Augsburg, der Geburtsstadt von Bertolt Brecht. Ich nutzte die Gelegenheit, um Brechts Geburtshaus zu besuchen, das heute ein Museum ist. Vor dem Haus, das im Handwerkerviertel der Stadt liegt, fließt ein schmaler Kanal. An diesem Kanal gab es eine Wassermühle und weil die zu viel Lärm machte, sind die Brechts, kurz nachdem der kleine »Bert« geboren wurde, umgezogen. Das schlichte Haus und die Umgebung vermitteln eine Idee von der damaligen Zeit und man erfährt etwas von der wohlhabenden Vergangenheit der Stadt. Das wird umso bedeutender, da Brecht in dieser Stadt, in der er als »Sohn wohlhabender Leute« aufwuchs, sich schon in jungen Jahren gegen den Kapitalismus wandte. In einem seiner Gedichte heißt es, »als er um sich sah, gefielen ihm die Leute seiner Klasse nicht« und »er verließ seine Klasse und gesellte sich zu den geringen Leuten«.

In seinem in Schönschrift geschriebenen Tagebuch notiert Brecht mit erst 14 Jahren: »Ich muss immer Gedichte schreiben«. Wir wissen heute, dass er dieses Versprechen bis zu seinem letzten Atemzug hielt. Es ist sehr interessant in seinem Geburtshaus, Familien- und Kinderfotos, das Bett, in dem seine Mutter starb, seine ersten Theaterplakate zu sehen, doch – vielleicht ist es selektive Wahrnehmung – bin ich eher an einem anderen Detail seiner Biografie hängen geblieben: Als ich die Liste seiner Theaterstücke las, fiel mir auf, dass er die bekanntesten seiner Werke im Exil geschrieben hat.

Brecht verließ Berlin am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand. Die Flucht des Dichters führte über Prag, Wien und Zürich nach Paris. Als die Nazis im Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz seine Bücher verbrannten, schrieb er in Paris Die sieben Todsünden der Kleinbürger. Die Premiere fand am 7. Juni im Théâtre des Champs-Élysées statt.

Ende Juni floh er aus Paris auf die Insel Fünen in Dänemark und schrieb dort an einer neuen Fassung eines weiteren großen Werks, Die Rundköpfe und die Spitzköpfe. Während dieses Stück in Kopenhagen auf die Bühne gebracht wurde, schrieb Brecht Die Horatier und die Kuriatier und arbeitete gleichzeitig an Szenen zu Furcht und Elend des Dritten Reiches.

Während er im Juni 1935 mit all dem beschäftigt war, wurde er von den Nazis ausgebürgert und hielt in Paris auf dem Ersten Internationalen Schriftstellerkongress seine historische Rede über die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Barbarei. Im Winter nahm er an der Premiere von Die Mutter in New York teil.

1936 schrieb er das Werk Die Gewehre der Frau Carrar, das 1937 in Paris uraufgeführt wurde.

1938 beendete er Das Leben des Galilei, das zu einem seiner wichtigsten Werke gehören würde.

1939 entstanden zwei weitere große Werke: Der gute Mensch von Sezuan und Mutter Courage und ihre Kinder. Am Ende des Jahres beendete er auch das als Hörspiel verfasste Stück Verhör des Lukullus.
Es sei daran erinnert, dass der Weltkrieg zu dieser Zeit schon begonnen hatte und Brecht mit seiner Familie vor den Nazis von einem Land zum anderen fliehen musste. 1940 zogen Brecht und seine Familie nach Finnland. Herr Puntila und sein Knecht Matti entstand im September des gleichen Jahres und einen Monat später begann der Autor, an seinen Flüchtlingsgesprächen zu arbeiten.

Während 1941 Mutter Courage in Zürich aufgeführt wurde, antwortete Brecht auf den Vormarsch der Nazis mit Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui.

1942 verfasste er Die Gesichter der Simone Machard und begann, an dem Drehbuch Hangmen Also Die (Auch Henker sterben) zu arbeiten. Der Film, dessen Regie Fritz Lang übernahm, kam 1943 in die Kinos.

1944 schrieb Brecht ein weiteres Meisterwerk, Der kaukasische Kreidekreis.

Und als Hitler 1945 gestürzt wurde, kam Furcht und Elend des Dritten Reichs in New York auf die Bühne.

***

Ist es nicht unglaublich, dass ein Dichter, der ein Land im Würgegriff des Nationalsozialismus verlassen muss und die Katastrophe des Krieges in verschiedenen Ländern, im Exil, erlebt, eine solche Produktivität an den Tag legt? Ein Künstler, der ständig Koffer packen und fliehen muss?

Als ich in Augsburg die Biografie, die im Brechthaus hängt, aus der Perspektive eines Exilanten las, stellte ich mir aufs Neue jene Fragen, die mich schon lange bewegen:

»Ist Exil ein Hindernis oder Antrieb für Kreativität?«

»Wird ein*e aus dem eigenen Land entwurzelte*r Künstler*in in den neuen Heimaten abstumpfen oder durch das Kennenlernen anderer Kulturen bereichert werden?«

»Ist die Entfernung vom Zuhause, von der Heimat und der Familie der Beginn eines neuen Lebens für eine*n Schriftsteller*in, oder der Anfang vom Ende?«

Natürlich hängen die Antworten auf diese Fragen von der Situation des zurückgelassenen Landes ab, von den Bedingungen, die in den Exilländern vorherrschen, von der Persönlichkeit der Exilant*innen und von der Unterstützung derer, die sie begleiten. Und im Falle von Brecht muss die besondere Rolle der Frauen wie Margarete Steffin und Ruth Berlau, die ihn ins Exil begleiteten und maßgeblich an seinen Texten mitarbeiteten, betont werden.

Offensichtlich führt der Zustand des Hin- und Hergerissenseins zwischen einer »Heimat, die zur Fremde wurde« und einer »Fremde, die nie Heimat werden wird« bei jedem*r Exilant*in zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige verlieren ihre Produktivität im Exil, weit weg von ihrer Muttersprache und einer Entfremdung zu gewohnten Worten. Andere sind in der Lage, die Melancholie des Exils und das Chaos eines noch unbekannten Lebens in Kreativität zu verwandeln. Dante schrieb Die göttliche Komödie und Victor Hugo Die Elenden im Exil. Doch Brechts Kreativitätsschub während seines 15-jährigen Exils bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 1948, den ich kurz skizziert habe, legt die Messlatte so hoch, dass sie kaum zu übertreffen ist.

Als ich vor Jahren einen Dokumentarfilm über die Jahre des Exils des großen türkischen Dichters Nâzım Hikmet drehte, fiel mir auf, dass seine Kreativität während der Jahre der Gefangenschaft den Höhepunkt erreichte und er im Exil in ein tiefes Schweigen verfiel. Sein Schweigen war nicht nur auf die Entfremdung von seiner Heimat zurückzuführen, sondern auch auf seine Enttäuschung darüber, dass das, was er im Exil in Moskau sah, nicht dem Ideal entsprach, für das er sein ganzes Leben lang gekämpft hatte. Vielleicht erging es Brecht nach seiner Rückkehr nach Ost-Berlin ähnlich. Andererseits gibt es viele Beispiele von Menschen, die sich dafür entscheiden, ihr Land trotz Unterdrückung nicht zu verlassen, die in derselben Stadt, im selben Haus, aber in einem völlig anderen politisch-kulturellen Klima bleiben und in eine kreative Schaffenskrise geraten.

So betrachtet, scheint klar, dass Kreativität nicht nur von äußeren Bedingungen, sondern in gleichem Maß durch die Innenwelt von Künstler*innen bestimmt wird. Repressionen, die Künstler*innen zur Migration zwingen, beeinflussen und verändern nicht nur Land, Stadt, Heimat und Freundeskreis, sondern auch das persönliche Urteilsvermögen, Emotionen, Lebensperspektiven und schließlich den kreativen Prozess. Manchmal übernimmt die Frustration des Nichtstunkönnens und manchmal das Verantwortungsbewusstsein, das sagt: »Ich bin hier frei, während mein Land unter Druck steht, ich muss mehr produzieren«.

Also ... Folgen wir dem Beispiel von Brecht und spitzen weiter die Feder ...