CAN DÜNDARS THEATER KOLUMNE #32

CAN DÜNDAR’IN TİYATRO SÜTUNU
Kolumne I Hikmeti Tabiyeci I Saray

Hikmeti Tabiyeci, Märchenpalast

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TRAGÖDIE, TRAUER, WUNDER

»Eine praktische Art ein Land kennenzulernen, besteht darin, sich anzusehen, (...) wie in ihm gestorben wird.« Albert Camus

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Der ghanaische Mittelfeldspieler Christian Atsu war Spieler bei Hatayspor. Er war unglücklich im Team. Er hatte kein einziges Tor geschossen. Bevor er sein letztes Spiel bestritt, teilte er dem Trainer der Mannschaft mit, dass er gehen wolle. Er wollte zurück zu seiner Familie nach Frankreich und sich dort nach einem anderen Team umsehen. Sie einigten sich. Atsu kaufte sich ein Flugticket nach Frankreich für Sonntagabend, den 5. Februar, um 23:00 Uhr. Er wollte an diesem Abend sein letztes Spiel in der Türkei bestreiten und danach direkt zum Flughafen fahren. In der 96. Spielminute erzielte er in der letzten Sekunde der Verlängerung ein Tor und bescherte seiner Mannschaft den Sieg. Er war so begeistert, dass er sich entschloss zu bleiben. Ein paar Stunden nach dem Tor lag er unter den Trümmern seines Hauses. Sein lebloser Körper wurde zwei Wochen später gefunden.

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Am 2. Februar twitterte İsmail Taşkın: »Wir haben uns ein Haus gekauft, Gott sei Dank. Möge Allah jenen, die keines haben, ein besseres geben.« Ein Foto der Besitzurkunde des Hauses, das sie im Bezirk Güneşli gekauft hatten, war an den Tweet angeheftet. Vier Tage nach diesem Tweet starb Taşkın mit seiner Frau und den drei Kindern im Alter von fünf, sieben und neun Jahren unter den Trümmern des Hauses, das sie gerade gekauft hatten.

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Mesut Hançer arbeitete während des Erdbebens in einer Bäckerei in Kahramanmaraş. Seine jüngste Tochter Irmak hatte in dieser Nacht bei ihrer Großmutter geschlafen. Hançer rief sofort seine Mutter an, aber er erreichte sie nicht. Voller Sorge und betend rannte er zu ihrem Haus. Doch das Beben hatte das Haus dem Erdboden gleichgemacht. Unter einer eingestürzten Mauer sah er die Hand seiner Tochter. Er versuchte, mit seinen bloßen Händen sein Kind, das er »meine Prinzessin« nannte, aus den Trümmern zu holen, aber er schaffte es nicht. Schließlich hielt er ihre leblose Hand und ließ sie stundenlang nicht los. Er begrub seine Prinzessin auch mit seinen eigenen Händen. Das Foto, das Hançer neben den Trümmern zeigt, wurde zum Symbolfoto der Katastrophe.

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Das Ehepaar Alex und Veronika Ilgın, das erst kürzlich geheiratet hatte, lebte in Orlando. Sie kamen nach İskenderun zu einer In-vitro-Fertilisationsbehandlung. Dort überraschte sie das Erdbeben. Das tote Paar wurde Händchen haltend in seinem Bett gefunden.

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1990 wird in Adıyaman ein Haus gebaut und nach einer Inspektion gesperrt, weil beim Bau minderwertiger Kies und Sand verwendet wurden. Nachdem das Gebäude zehn Jahre lang leer stand, wurde es an einen Geschäftsmann verkauft, den Leiter einer Stiftung von Erdoğans Sohn. Es war ein fünfstöckiges Haus, auf das dann zwei weitere Etagen gebaut wurden, um es in ein Hotel mit 36 Betten umzuwandeln. Später wurde die Bettenkapazität noch auf 65 erhöht. In der Nacht des Erdbebens starben 35 Schüler*innen im Alter von neun bis 15 Jahren, die aus Zypern zu einem Volleyballturnier in die Stadt gekommen waren, unter den Trümmern des Gebäudes. Als dieser Skandal aufgedeckt wurde, verhängte man eine Vertraulichkeitsverfügung über die Akte.

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Die vierjährige Azra wurde drei Tage nach dem Erdbeben auf wundersame Weise aus den Trümmern in Hatay geborgen. Ihr linkes Bein war gebrochen, sie hatte innere Blutungen und musste dringend ins Krankenhaus gebracht werden. Es gab jedoch keine Krankenwagen in der Nähe. Der Retter, der Azra aus den Trümmern zog, nahm sie in die Arme, leuchtete ihr ins Gesicht und postete auf seinem persönlichen Social-Media-Account: »Wir haben Azra gerettet.« Azra überlebte das Erdbeben, die Show jedoch nicht und verlor ihr Leben.

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Soner Tuğtekin hatte eine Zigarette im Mund, als er am dritten Tag des Erdbebens unter den Trümmern hervorgezogen wurde. Er sagte: »Ich schrie: ›Ein Erdbeben!‹ Die Decke stürzte ein, als meine Frau und meine Tochter versuchten, zu mir zu kommen. Beide starben. Das Etui mit meinen gedrehten Zigaretten war auf mich gefallen. Während ich darauf wartete, gerettet zu werden, zündete ich mir eine nach der anderen an. Nach einer Weile ging meinem Feuerzeug das Gas aus. Ich konnte die Zigaretten mit den Funken anzünden, die entstanden, indem ich die Kabel der Batterien der Fernbedienung aneinander rieb. Drei Tage überlebte ich mit den Zigaretten.«

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Bei dem Erdbeben starben viele Menschen, die die Zerstörung überlebt hatten, an der eisigen Kälte, während sie unter den Trümmern darauf warteten, gerettet zu werden. Als die staatliche Hilfe sich verspätete, mobilisierten sich die Zivilgesellschaft und private Organisationen. Die offizielle Katastrophenschutzbehörde AFAD, die sehr verzögert reagierte, erlaubte jedoch nicht, dass 2.000 Fleecejacken, Mützen und Handschuhe, die von einer Biermarke gespendet wurden, in die Region geschickt wurden, weil sie ein Logo für alkoholische Getränke trugen. Auf die verärgerten Reaktionen aus der Bevölkerung hieß es nur, es gäbe kein solches Verbot.

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Fatma war erst seit zwei Monaten auf der Welt. Die Nachbarn hörten ihre Schreie. Zwei Tage später zogen sie das Baby aus den Trümmern. Die Eltern waren tot, doch dem Baby ging es gut. Das Rettungsteam kannte seinen Namen nicht und schrieb »Ruinenbaby« auf seine Stirn, damit es nicht verloren ging.

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Fatma Kurt wurde im Kinderzimmer ihres Hauses in Kahramanmaraş vom Erdbeben überrascht. Drei Menschen waren auf engstem Raum gefangen und ihre Telefone hatten keinen Empfang. Schließlich gaben sie die Hoffnung auf, gerettet zu werden und nahmen ein Video auf. In dem Video verkündete Fatma Kurt ihren letzten Willen: »Wenn wir sterben, wenn dieses Telefon gefunden wird, gebt uns euren Segen. Ich schulde vielen Menschen vieles. Ich schulde Mustafa 2.500 Lira. Ich will nicht in Schuld sterben. Verteilt das Geld, das ich gesammelt habe.« Nach einer Weile wurden sie gerettet. Später sagte sie: »Ich hatte Geldspenden für Waisenkinder gesammelt. Sie hatten ein Recht darauf. Ich nahm das Video auf und versteckte das Handy unter dem Pulli meines Sohnes, damit sie es nach unserem Tod finden konnten.«

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Masa war erst 40 Tage alt. Ihre Familie war sechs Jahre zuvor aus Syrien geflohen und hatte Zuflucht in Kahramanmaraş gefunden. Während des Erdbebens lag sie an der Brust ihrer Mutter. Ihre beiden Geschwister und ihre Mutter, die sie gestillt hatte, starben unter den Trümmern. Masa überlebte ohne einen einzigen Kratzer; der Körper ihrer Mutter hatte sie beschützt. Sie lebte von der Muttermilch, bis Rettungskräfte eintrafen.

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Die Ukrainerin Irina wartete mit ihrem türkischen Mann darauf, dass ihre Verwandten aus den Trümmern gerettet wurden. Sie musste auf die Toilette und ging dafür zwischen die Ruinen. Sie hörte ein winziges Geräusch und informierte sofort die anwesenden Soldaten. Rettungskräfte zogen den 77-jährigen Onkel Ömer nach einer Weile aus den Ruinen. Es war der siebte Tag des Erdbebens. Das Rettungsteam fragte, wie er überlebt habe. Onkel Ömer hatte sieben Tage lang seinen eigenen Urin getrunken.

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Muharrem Polat, der neun Tage nach dem Erdbeben in Kahramanmaraş unter den Trümmern hervorgeholt wurde, berichtet: »Wir haben neun Tage lang nichts gegessen. Wir versuchten, die Vaseline, die ich unter den Trümmern gefunden hatte, zu essen. Mein sechs Monate alter Sohn Muhammet hatte Hunger. Meine Frau hatte keine Muttermilch mehr. Ich versuchte, ihn mit meinem Speichel zu füttern. Am fünften Tag konnte er nicht mehr. Ich habe seine Brust abgehört. Er starb in unseren Armen. Unsere Münder und Gesichter waren mit Staub bedeckt. Am siebten Tag bemerkte ich, dass der Ziegelstein, den ich berührte, feucht war. Ich grub ihn aus und fand Schmelzwasser. Das hielt uns am Leben.«

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Proteo war einer der 16 Hunde des Rettungsteams, das aus Mexiko in das Erdbebengebiet kam. Sobald er ankam, begann er mit den Bergungsarbeiten in Adıyaman. Aber er war alt; er konnte dem plötzlichen Klimawechsel und der Eiseskälte nach der sehr langen Reise nicht standhalten. Er starb in Ausübung seiner Pflicht. Das mexikanische Verteidigungsministerium gab Proteos Tod mit einer Notiz bekannt: »Danke für deine heldenhafte Arbeit.« Das mexikanische Rettungsteam hielt eine kleine Zeremonie zu Ehren Proteos ab.

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Und auf einer kleinen Karte, die an einer Blume unter den Trümmern befestigt war, stand: »Verzeih mir, mein Schatz. Ich liebe dich.«