Einblicke in den Probenprozess

4 WËNDE

September 2019 – Die Aktionist*innen starteten in einer Zusammensetzung von 13 Spieler*innen zwischen 15 und 24 Jahren.  Mit der Choreografin Modjgan Hashemian arbeiteten sie in kollektiver, sehr physisch-tänzerischer Produktionsweise zu »Positive Brainwash – Good News«. Der Fokus lag auf einer intensiven Recherche unserer Sinne. Im April 2020 sollte Premiere sein. Die Energien wurden durch den pandemiebedingten Lockdown jäh ausgebremst – der persönliche, künstlerisch-kreative Austausch abrupt abgebrochen.  Sie führten ihre Begegnungen im digitalen Raum fort, trafen sich online und nahmen das Premierendatum als Anlass, eine Miniatur-Good Vibes-Performance über Instagram zu veröffentlichen. Fest stand, dass die gewachsenen Verbindungen so von Bestand sind, dass die Gruppe den dringlichen Wunsch äußerte, noch einmal Anlauf zu nehmen. 

August 2020 – reale Begegnungen durften unter strengen Hygieneauflagen wieder stattfinden. Noch acht Jugendliche der ursprünglichen Besetzung begaben sich auf die Suche nach einer neuen konzeptionellen Ausrichtung. Bestehendes Material konnte aufgrund der Auflage der physischen Distanz nicht weiterentwickelt werden. Inhaltlich drängte es die Spieler*innen Bezug zu nehmen auf ihr gegenwärtiges Erleben – Vereinzelung,  Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst. Reale und diffuse Bedrohungen brachten große Verunsicherungen mit sich. Sinnbildlich für das Begrenzt-Sein, aber auch den Rückzug ins Private als sicherer Raum entstand die Idee, für die weitere künstlerische Arbeit in  Auseinandersetzung mit den eigenen vier Wänden zu gehen. 4 WËNDE als körperliches Untersuchungslabor und Moment der Vergewisserung, um dann ganz klar zu haben: Wofür würden wir auf die Straße gehen? 

Seit Oktober 2020 ist das Gorki Studio zur Homebase der Gruppe geworden, ein Raum, der für so vieles gleichzeitig stand: sich treffen dürfen, miteinander sprechen, diskutieren, weinen, lachen, einander zuhören, Texte zusammentragen, Warm Up-Sessions, die an Club-Nights erinnern, Choreografie, Phrasen und Bewegungsimprovisationen entlang der am Boden markierten Zimmerwände – trotz großen räumlichen Abstands eine enge emotionale Nähe. Auch wenn eine Aufführung vor Publikum ein zweites Mal kaum aussichtsreich schien, war allen klar:  IT’S FOR NOW! 

11/12 Dezember 2020Werkstattaufführung und Aufzeichnung im Gorki Container 
 

Die Spielerin Julia Gudi beschreibt den Probenprozess und wie die Aufzeichnung entstand

Der Mitschnitt vom 12.12.2020 zeigt unsere Premiere, die ohne Publikum stattfand. Bis zur Endprobenphase war es unklar, ob wir überhaupt vor Publikum spielen dürfen, wie wir den Raum bespielen und wer dann die Aufführung sehen darf. Mit dieser Ungewissheit experimentierten wir mit verschiedenen Formen der Probenarbeit. An unserem wöchentlichen Termin (dienstags 17:00-20:00) trafen wir uns gemeinsam, um in dieser Gruppenkonstellation an körperlichen Szenen choreografisch zu arbeiten. Das war ein Prozess des voneinander Lernens. Die Spieler*innen, die schon Erfahrung im Choreografieren hatten, entwickelten Teile diverser tänzerischer Elemente, die in der Aufzeichnung zu sehen sind und umgekehrt erarbeiteten Spieler*innen ohne Erfahrung diese und wir kamen gemeinsam wie ein Mosaik zusammen. Mit Workshopcharakter wurde jede*r mal zum Lehrenden und jede*r mal zum Lernenden. 

Ab Oktober entwickelten wir unsere Ideen immer zusätzlich freitags weiter. Abseits unserer Themen war die aktuelle politische und gesundheitliche Krise spürbar. Es war insofern eine außergewöhnliche Situation, als dass wir Möglichkeiten des »kontaktlosen Probens« finden mussten, als auch die wechselnde Konstellation an anwesenden Spieler*innen aufgrund von Quarantänemaßnahmen, Symptomen oder gesundheitlichen Risiken. 

Wir reflektierten in dieser Zeit stark unsere eigenen Privilegien und stellten im Austausch mit unserer Umgebung fest, wie unterschiedlich Lebensrealitäten und Sichtweisen auf das eigene »Zuhause« sein können. Die Stimmen von Freunden, Verwandten, aber auch Menschen ohne Obdach haben wir dazu in Form von Interviews eingefangen und Audios aufgenommen und bearbeitet. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Wort »Safe Space« oder mit klassistischen TV-Formaten wie »Einsatz in 4 Wänden« prägten unsere Gespräche. 

Anstelle der Möglichkeit vor »realem« Publikum aufzutreten, kreierten wir im Gorki Container eine Aufführungssituation mit anschließender Videoaufzeichnung. Wir hatten insgesamt zwei Tage auf der Bühne zur Verfügung. Am ersten Tag haben wir Licht, Kostüm und Bühnenbild einrichtet und einen Durchlauf darin gespielt. Am zweiten Tag wurde das Material gedreht – zuerst die tänzerisch-körperlichen Szenen und anschließend die Szenen mit Sprechtext unter Verwendung von Mikroports. Eine besondere Herausforderung stellte die Situation dar, dass eine Spielerin aufgrund von Quarantänemaßnahmen nicht physisch teilnehmen konnte. Wir haben ihren Part, den sie eigentlich live auf der Bühne gespielt hätte, kurzerhand per Zoom zugeschaltet. Sie ist über einen Bildschirm live von zu Hause präsent und in die Inszenierung eingebunden.