Unter dem Titel »Solidarität der Fragmente« begleitete der 5. Berliner Herbstsalon das Gorki über zwei Spielzeiten hinweg aufgrund der Pandemie in einem angepassten und erweiterten Format: in einer Reihe von beeindruckenden analogen und virtuellen Ausstellungen, Interventionen, Performances und Diskussionen mit einzelnen Künstler*innen und öffentlichen Zusammenkünften. Der Kiosk, das neu gewonnene Ladenlokal neben dem Garten des Theaters, ist zum Hauptausstellungsraum des Festivals geworden.
Unsere zerklüftete Gesellschaft läuft ebenso Gefahr weiter auseinander zu brechen wie unsere fragmentierten Solidaritäten: nicht zuletzt durch die Art und Weise, wie wir konventionell über sie sprechen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, lud der 5. Berliner Herbstsalon zur Solidarität der Splitter und Fragmente, zu neuen Bündnissen und Bewegungen ein. Die bisherigen Ausgaben des Herbstsalons beschäftigten sich mit Themen wie Nationalismus, Kolonialismus, Migration, Grenzpolitik und patriarchalen Strukturen und gingen der Frage nach, wie kritische Kräfte durch intersektionales Denken, Solidarität und Inklusion gesellschaftlichen Wandel anstoßen können.
Der 5. Herbstsalon knüpft an diese Themenschwerpunkte an; er wurde gemeinsam mit dem Political Voice Institute (PVI) initiiert, einem sozialen Laboratorium zur Erforschung des zeitgenössischen Chortheaters, das am Gorki unter der Leitung der Gorki Artist-in-Residence Marta Górnicka gegründet wurde. Die Interventionsperformance des PVI Community: An App for One Person beschäftigte sich mit der (Un-)Möglichkeit, Gemeinschaft in Zeiten des Social Distancing am Leben zu halten, und diente als Pre-Opening für den Gorki Kiosk. Die Performer*innen des Instituts nahmen auch an Górnickas Hauptbühnenproduktion Still Life: A Chorus For Animals, People And All Other Lives teil, einem chorischen Manifest, das die allgegenwärtigen Mechanismen von menschlicher Gewalt aufzeigt und die Spielzeit 21/22 eröffnete.
Das Projekt stronger still bestand aus vier verschiedenen Ausstellungen und diskursiven Veranstaltungen und konzentrierte sich auf die wachsende Einschränkung des Denkens, des Journalismus und des künstlerischen Ausdrucks in Ländern, die im letzten Jahrzehnt von autoritären Regimen regiert wurden. Unter anderem präsentierte stronger still eine Einzelausstellung der kurdischen Künstlerin Zehra Doğan. Im Rahmen der zweiten Ausgabe der Young Curators Academy (YCA) kamen junge Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zusammen, um über Themen wie Care und Repair oder Formen des planetarischen Bewusstseins zu diskutieren. Im Zuge dieser Treffen bereiteten einige der jungen Kurator*innen Kunstwerke und Objekte für die Veranstaltungsreihe The Curator's Suitcase vor.
Darüber hinaus wurde die Wanderausstellung Offener Prozess im Rahmen des Berliner Herbstsalons im Gorki präsentiert; zuvor war sie in Chemnitz und Jena zu sehen. Offener Prozess setzte sich kritisch mit strukturellem Rassismus und rechter Gewalt im Nachkriegsdeutschland auseinander. Die Ausstellung bot zudem ein umfangreiches Begleitprogramm, um jenen Menschen eine Stimme zu geben, die aufgrund von soziokulturellen Differenzen zum Ziel von Ausgrenzung und Gewalt geworden sind. Der 5. Berliner Herbstsalon endet mit Beware of Linguistic Engineering, einer Einzelausstellung der britischen Künstlerin Delaine Le Bas. Mit ihren neuen Arbeiten hinterfragt Le Bas die diskriminierende Politik und Praktiken der Ungerechtigkeit, die in neoliberalen westlichen Gesellschaften vorherrschen. Im Zentrum stehen dabei die immer wiederkehrenden Fehler des »Linguistic Engineerings« [Linguistisches Konstruieren], das darauf abzielt, eine politisch korrekte Sprache und damit eine soziale Atmosphäre zu erzeugen, insbesondere im Kontext des Vereinigten Königreichs.